CHRISTIAN HEUCHEL

KUNST UND ARCHITEKTUR

Liaison dangereuse

Liaison dangereuse

Liaison dangereuse

Das Verhältnis zwischen Kunst und Architektur war schon immer spannungsvoll. In der schwierigen Beziehung zwischen Künstlern und Architekten gab es aber immer auch den sehnlichen Wunsch nach Kooperation. Nicht selten gleicht ihre Zusammenarbeit einer Hassliebe, einem Lehrstück aus Ressentiments, Missverständnissen und Grenzziehungen.
„Wir wollen die moderne Kunst gern ernst nehmen, aber wir sind doch ein wenig böse, dass sie sich gar keine Mühe gibt, unser Verständnis zu gewinnen.“ Unbekannter Architekt, 50er Jahre.
Insbesondere die Werke der Kunst am Bau spiegeln die damit verbundenen unzähligen Anekdoten und Kämpfe wider. Die Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur ist dabei so eng, dass sie die Künstler – manchmal zur bloßen Selbstbehauptung – zu leidenschaftlichen, gefährlichen, provokanten oder einfach nur komischen Werken animiert.

Geschichte einer Beziehung

Die Moderne des frühen 20. Jahrhunderts war bis dahin die erste Epoche, die das klassische decorum und ornamentum decorum kaum verwendet. Sie versuchte, ein neues Neben- und Miteinander von freier Kunst und Architektur zu schaffen. Ludwig Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon mit der Skulptur „Frühlicht“ von Georg Kolbe im Innenhof stand Modell für eine zukunftsweisende Zusammenarbeit zwischen Architekt und Künstler: Man propagierte die nun gleichberechtigte Gegenüberstellung von Bauwerk und Bildwerk.
„Plastik ist nicht Dekorationselement der Architektur sondern selbständiges Kunstwerk…..“ (Georg Kolbe)
Es war die logische Konsequenz auf Adolf Loos` Kampfansage an das Ornament, für den das Bauwerk selbst durch Funktion und Ausformung überzeugen sollte. Das Ornament war dabei überflüssig, geschmacklos, aufgetünchte Dekoration.
Le Corbusier lässt seine Skepsis gegenüber einer willkürlichen Dekoration der Architektur durch den Künstler noch deutlicher spüren. Er schließt die traditionellen Orte der Bildhauerkunst in seinen Bauwerken aus. Jedoch empfiehlt er, wenn es denn sein muss, die Stelle der größten Wirkung zu wählen.
„ ….Es ist die Stelle, an der sich die verschiedenen Ebenen der Natur und Architektur durchdringen… Nicht das Tympanon, noch der Portikus… Bildhauer tritt hier ein, wenn es überhaupt der Mühe Wert ist, wenn du redest…“ Le Corbusier
Der Architekt Peter Eisenman geht noch einen Schritt weiter. Als die Kuratoren des Wexner Centers in Columbus, Ohio, ihm vorhielten, dass es praktisch unmöglich sei, in den von ihm konzipierten Ausstellungsräumen wegen der vielen Glaswände Bilder zu zeigen, gab der Architekt die Antwort, das sei doch in Ordnung, dann sollten sich die Künstler doch eine andere Art von Kunst ausdenken.
Heute sind die Grenzen zwischen Kunst und Architektur, zwischen Künstlern und Architekten aufgehoben. Jeder jagt und plündert im Terrain des anderen. Man bedient sich des Formenvokabulars, der Erkenntnisse und der Erfindungen des eben brauchbaren Genres. Das Recycling von Ideen ist zum Kavaliersdelikt geworden. Der Künstler ist Architekt, der Architekt wird zum Künstler, der Bauherr ist Künstler und Architekt……. Lästige Reibungsverluste durch Meinungsverschiedenheiten werden dabei bewusst umschifft. Kein Architekt wird noch freiwillig kostbaren Raum frei geben für unkontrollierbare Experimente. Ohne Not wird dabei die befruchtende Rivalität der alten Systeme, ihre inhaltlichen Verirrungen, ihre gemeinsamen Tiefgänge, über Bord geworfen.

Selbstbewusster Dialog

In einer Zeit, in der „schlüsselfertige“ Lösungen aus einer Hand propagiert werden, sollte man den mühsamen Dialog zwischen Kunst und Architektur zurückfordern. Einer Architektur, die an Bedeutungsverlust krankt, die sich die kulturelle Schwerelosigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat, fehlt jedoch der Glaube an eine gegenseitige Potenzierung der Disziplinen. Eine intelligente Kooperation zwischen Architekten und Künstlern würde der grauen Masse unserer täglichen Bautätigkeit neue Impulse geben. Eine frühe und klare Aufgabenteilung bietet dabei die Chance für eine gemeinsame nachhaltige und kulturelle Verdichtung des architektonischen Projekts.
Dabei scheint es umso wichtiger, die pragmatischen Erwartungen an die beiden Disziplinen zu erfüllen.
„Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede vom Kunstwerk, das niemanden zu gefallen hat. Das Kunstwerk ist eine Privatangelegenheit des Künstlers. Das Haus ist es nicht. Das Kunstwerk wird in die Welt gesetzt, ohne daß ein Bedürfnis dafür vorhanden wäre. Das Haus deckt ein Bedürfnis. Das Kunstwerk ist niemandem verantwortlich. Das Haus einem jeden. Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen. Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ…..“ Adolf Loos
Eine Rückführung auf die an sich schon hoch komplexen Aufgabenfelder Kunst und Architektur sollte in Angriff genommen werden. Dabei sollte man die Grenzen abstecken und die Schnittstelle genauer unter die Lupe nehmen. Dem Architekten kommt dabei seine historische Verpflichtung zu, „osservare il decoro“, die Würde des Bauwerkes angemessen zu vertreten.

Fremdheit und Verschmutzung

Die Schnittstelle zwischen den Disziplinen ist der Moment der größten Reibung. Sie fordert die bewusste Auseinandersetzung. Der Austausch schärft und radikalisiert die jeweilige architektonische und künstlerische Position. Er produziert dabei Missverständnisse, unangenehme Fragen und überraschende Irrwege. Er ist beseelt durch den Umstand des Gegensätzlichen und Unbekannten. Gerade hier liegt das Potenzial für ein architektonisches Projekt. Es entsteht eine vielschichtige und nachhaltige Basis, auf der das Projekt ruht.
In diesem reizvollen Klima können nun Kleinigkeiten als Lichtblitze empfunden werden. Erste behutsame, skurrile und ärmliche Formgebungen erfährt man als etwas Fremdes. Bei näherer Betrachtung werden sie durch die Aura des Künstlers und durch seine Beharrlichkeit legitimiert. Dabei hilft uns der naive Glaube an den „moralischen“ Künstler und seine Kunst. Das gemeinsame Ziel ins Auge gefasst, geht es jetzt um die irreversible und nachhaltige Einbettung des Kunstwerks in das Bauwerk. Es geht dabei um die kleinen Orte in der Architektur. Die übersehenen Nischen, die Ecken, die Wände, die vom Künstler wieder entdeckt und geschmückt, belegt, gefüllt werden.
Die Architektur wird durch die künstlerischen Eingriffe verändert, interpretiert und scheinbar „verschmutzt“. Sie dient dem Künstler als Modell, als Zeichenvorlage, als vergessene historische Motivwelt. Das Bauwerk, als Körper, als Funktion, als Material und als gebaute Realität wird wieder entdeckt. Der Bau wird vom Künstler komplett vereinnahmt, gefärbt und teilweise umgebaut. Die Eingriffe dehnen sich explosionsartig auf das gesamte Gebäude aus, kein Ort ist mehr sicher, alles steht zur Disposition. Die Architektur rutscht aus dem Fokus, geht verloren, wird zum reinen Bildträger, zum ironischen Objekt. Doch immer wieder kehrt das Wesen der Architektur zurück, behauptet sich durch Größe und Gesetzmäßigkeit. Sie erscheint als städtebauliche Kante, als neues Ordnungssystem, als Behausung, als träge Masse. Die Ein- und Angriffe werden unbeirrbar überstanden. Die Architektur absorbiert das Kunstwerk.

Der Blick von außen

Der Künstler ist der Maßstabsmacher. Durch seine trainierte Beobachtungsgabe und seine spezialisierte Arbeitsweise findet er immer den persönlichen Zugang zur Situation. Er hat die Möglichkeit, die Umwelt kleinteiliger zu reflektieren und durch den Reichtum seiner Mittel seine Idee direkter zu übersetzen. Er schafft die Brücke zwischen Bauwerk und Betrachter. Am Ende scheuen sich die Ergebnisse nicht, verliebt zu sein in das Illustrative, in das Schöne, in die Harmonie oder in den Gleichklang.
Kunst am Bau lenkt den Blick auf den Dialog der beiden Disziplinen. Durch kein anderes Metier lässt sich das Verhältnis zwischen Kunst und Architektur besser und radikaler verdeutlichen. Nur hier wird der unmittelbare Zusammenhang gefordert und auf Dauer gefestigt. Kunst am Bau ist unausweichlich, öffentlich, ist unmittelbar zugänglich und kennt keine musealen Erklärungen. Der Begriff Kunst am Bau gibt dem Kunstwerk seinen Ort: Es ist nicht das Museum, die Straße oder der Platz, es ist der Ort in und an der Architektur. Mit kleinsten künstlerischen Eingriffen ist dabei ein Maximum an Schärfung des Baus möglich. Kunst am Bau erscheint am Ende als unschlagbares ökonomisches Instrument und merkantiles Aushängeschild einer anspruchsvollen Baukultur.

Christian Heuchel